Historiker sagen gelegentlich, dass der natürliche Feind einer korrekten Geschichtsschreibung der Zeitzeuge sei. Die Menschen neigten dazu sich die eigene Erinnerung nach ihren Wünschen zu gestalten. Um das zu belegen werden wir jetzt die wahre Geschichte von Liederjan berichten.
Alles fing an - nicht 1870/71 - nein 1968. Zwei Jungstudenten standen vor verschlossener Tür eines Hamburger Uni-Hörsaals. Die angesetzte Vorlesung: BGB für Betriebswirte fiel aus. Die beiden kamen ins Gespräch, fanden sich sympatisch und beschlossen alles weitere bei einigen Bieren zu bereden.
 
  Es waren Anselm Noffke und Jörg Ermisch. Die beiden stellten schnell eine gemeinsame Neigung zu irischer und schottischer Musik fest. Zu einem weiteren Treffen brachte Anselm seinen Freund Tom Nitsch, Jörg seinen Freund Jochen Wiegandt mit und somit war die Gruppe komplett und "Tramps and Hawkers" gegründet. Mit ihrem schrägen Humor und ihren vor allem gesanglichen Qualitäten erspielten und ersangen sich die Vier ziemlich schnell ein festes Publikum in und um Hamburg. Vier LPs bezeugen den Stand der Dinge.
Ein paar Jahre später engagierte sie der damalige musikalische Leiter des Hamburger Thalia Theaters Jens Peter Ostendorf für das Stück des irischen Autors Brendan Beehan "Richards Korkbein". Da saßen die Vier am Rand der Bühne zwischen Grabsteinen aus
tuh
 
  Styropor, "mußten" einige Fläschchen Guinness leeren und gelegentlich die Gesänge der Schauspieler begleiten. Jens Peter Ostendorf war es dann auch, der die Gruppe fragte, ob sie für ein im September 1975 stattfindendes Musikfestival in Hamburg ein Programm mit deutschen Volksliedern zusammen bringen könnte. Vielleicht war doch ein Guinness zu viel im Spiel - die Jungs nickten. Jedenfalls drei von ihnen. Tom, wie immer der nüchternste, war das alles zu viel, da die Auftritte mit "Tramps and Hawkers" weitergingen und seine Ausbildung zum Kameramann auch.  
 
Jochen
Anselm
Jörg
 
 
So war also eine noch namenlose Gruppe bestehend aus Jochen, Anselm und Jörg etwa ein Jahr lang ziemlich fleißig. Sie suchten deutsche Lieder und Tänze zusammen, arrangierten sie und übten sie ein. An dem bewußten Abend im September 1975 spielten sie ihre Stücke mit bebenden Knien, und es wurde ein voller Erfolg. Allerdings war die Zahl der Lieder noch übersichtlich gehalten, sodass sie als Zugaben einige Sachen wiederholen mussten. An diesem Abend gab es viel Zuspruch. Auch von einem schottischen Folksinger, der ein paar Tage bei Anselm wohnte - Dick Gaughan. Da Dick gelernter Klempner ist, versuchte er bei der Gelegenheit übrigens ein Abflußrohr in Anselms Wohnung zu reparieren. Wohlgemerkt, er versuchte es, aber das ist eine andere Geschichte.
 
  Für den erwähnten Auftritt der Drei mußte natürlich ein neuer Gruppennamen her. Man einigte sich auf ein aus der Mode gekommenes Schimpfwort mit einem Doppelsinn: LIEDERJAN.
Einerseits Liederjan, ein liederlicher Mensch, der die Dinge etwas lockerer nimmt und andererseits ein Jan (ein eher norddeutscher Männername) der Lieder singt. Mit den drei Buchstaben von Jan klappte es nicht so ganz: Jörg, Anselm und Nochen...
Liederjan wurde ziemlich schnell bekannt. Die Zeit war günstig. Folk-Clubs schossen wie Pilze aus dem Boden und viele Festivals etablierten sich. Der anfängliche Makel der Deutschsprachigkeit entpuppte sich bald als Vorteil: Das was man mitteilen wollte wurde auch verstanden.
 
  Bei vielen Veranstaltungen von Parteien das linken Spektrums, Gewerkschaften und Bürgerinitiativen tummelten sich die deutschsprachigen Folkbands und Liederjan mit ihrer musikalischen Qualität und ihrer humorvollen Art Dinge zu bringen waren ganz vorne dabei.  
  Doch wie das so ist, wenn man so viel Zeit miteinander verbringt gibt es Spannungen. Viele Bands können ein Lied davon singen. 1979 schied Jochen aus, und nachdem Anselm und Jörg von Freunden davon überzeugt werden konnten weiter zu machen, kam Rainer Prüss ins Boot. (Seine "Anwerbung" beschreibt er trefflich in eigenen Worten hier.)
In dieser Zeit wurde einerseits musikalisch viel Neues probiert und andererseites begannen die Drei - zunächst mal nur Rainer und Jörg - eigene Stücke zu schreiben. Im Jahr 1985 erhielten sie für ihre Arbeit den "Deutschen Kleinkunstpreis". Als Rainer ein Jahr später ausschied konnten Anselm und Jörg schon besser mit der Situation umgehen. Liste mit Kandidaten machen, anrufen, Termin machen, schnacken, fertig.
 
  Den neuen Dritten - Edzard Wagenaar - mußte Jörg noch unter den Tisch trinken bis er "ja" lallte. Eddy (in Fachkreisen auch Ed der Erste, König von Emden genannt) führte das Keyboard in die Gruppe ein. Diese elektronische Komponente sorgte für nicht geringe Verstörung bei Teilen des Publikums. Ed entdeckte dann aber das Akkordeon für sich, das nach und nach das Keyboard verdrängte.  
  Nach Edzard kam 1992 der Rostocker Wolfgang Rieck in die Gruppe. Wolfgang, der seit seiner Zeit als Matrose auf DDR Handelsschiffen Hein genannt wurde, spielte überwiegend Konzertgitarre im klassischen Stil. Auch auf der Bühne hatte er stets das Fußbänkchen dabei und einen Lederlappen für das linke Bein um darauf die Gitarre zu plazieren. Ein wahrer Gentleman.  
  Auf Hein folgte 2001 Jürgen Leo. Jürgen war unter Anderem ein begabter Gaukler. Er konnte jonglieren, balancieren, Zaubern und wenn es sein mußte auf den Händen gehen (mußte bei Liederjan aber nie sein). Ein Highlight bei den Auftritten war ein extrem komischer Seiltrick. Hierbei lagen nicht nur die Zuschauer, sondern auch Anselm und Jörg regelmäßig vor Lachen unter den (nur gelegentlich vorhandenen) Tischen.  
  Anselm und Jörg versuchten immer die Qualitäten der jeweilgen "Dritten" mt dem liederjan-typischen Grundgerüst zu vereinigen. Sie fungierten gewissermaßen als Bücherstützen und wurden auch gerne mal das "alte Ehepaar" genannt. Doch dieses funktionierende System wurde jäh zerstört, Anselm starb im Dezember 2003. Gevatter Tod holt leider auch die wunderbarsten Typen. Nun kam ein auch optisch sichtbarer Schnitt. Eine Frau kam in die Truppe: Hanne Balzer. Aus der dienstältesten deutschen Boygroup wurde ein gemischter Männerchor mit Dame.  
  Nach Jürgens Ausstieg kam Klaus Irmscher in die Gruppe. Klaus war ein großes Sprachtalent. Nicht nur, dass er mehrere Sprachen sprechen konnte (soweit wir das beurteilen können) - er war auch in diversen deutschen Dialekten zu Hause. Er war zwar in Mölln geboren und aufgewachsen, aber in einer sächsischen Familie. So konnte er vor allem diesem munteren Dialekt sehr komische Seiten abgewinnen.  
  Auf Klaus folgte 2009 Michael Lempelius. Er brachte wieder mehr irische Elemente in die Gruppe. So ist es nicht verwunderlich,dass in seine Zeit auch das Projekt "Liedertach" fiel - die Zusammenarbeit mit dem irischen Trio Iontach aus der auch eine gemeinsame CD hervorging. Michaels ausgefeiltes Bouzouki- und Mandolaspiel gepaart mit seinem norddeutschem, drögem Temperament sorgte in jeder Hinsicht für viel Spaß auf und hinter der Bühne.  
 
Anfang 2016 trat mit Philip Omlor zum ersten Mal ein Nicht-Norddeutscher in die Gruppe.
Das Beständigste ist der Wechsel!
Über die aktuelle Besetzung an anderer Stelle mehr. Dies ist ja nur die Historie.
 
 
Ph
Jo
Ha